3. Tag, 5. April 2006
FRANGY – CULOZ
35 km
Am Morgen hatte ich eine leichte Krise. Ich hatte schlecht geschlafen und Kopfweh. So zog ich die erste Karte aus meiner Pilgeraphotheke, die mir Regine geschenkt hatte. Darauf stand „Geh, wohin dein Herz dich trägt“. So bin ich guten Mutes losgelaufen. Ich musste meine Regenkleider anziehen, da es am Morgen noch leicht regnete. Von Frangy ging ich hoch hinauf, auf Wegen, die sich durch den Regen in Bäche verwandelt hatten. Aber ich fühlte mich wieder wunderbar. Ich traf auf die zwei ersten Pilger. Zwei ältere Männer aus Lausanne. Sie waren am 1. April zu Hause gestartet und wollten den ganzen Weg bis Santiago-de-Compostela wandern. Dafür gaben sie sich 90 Tage Zeit. Alle Achtung! Weiter durch kleine Weiler immer schön auf den Höhen. Unten im Tal sah ich plötzlich die Rhone. Leider dauerte das Glück nicht den ganzen Tag. Ich wollte eigentlich bis Sessel und merkte zu spät, dass ich schon zu weit gegangen war. Also ging ich weiter bis zum Weiler Mathy. Hier musste ich mich zwischen zwei möglichen Wegen entscheiden. Ich nahm die Variante zum Jakobsweg, weil sie ein wenig kürzer und ich sehr müde war. Auf diesem Weg war der nächste Ort mit Übernachtungsmöglichkeiten nur noch 30 Minuten entfernt. Also bin ich bis Serrières gelaufen und freute mich schon auf eine Unterkunft. Aber das eine Hotel war geschlossen und das andere hatte keine Zimmer mehr frei. Auf dem Campingplatz, der mir ein Wirt empfohlen hatte, war kein Mensch anzutreffen. Auch telefonisch war niemand zu erreichen. Und es hat geregnet. So bin ich weiter gegangen. Ich verpasste die Muschel und musste nun der Hauptstrasse entlang gehen, bis ich nach einer Stunde in Ruffieux zwei Männern begegnete, die ich nach dem Weg fragen konnte. Sie empfahlen mir noch weiter bis Culoz zu gehen, dort würde ich bestimmt etwas finden. Also, noch einmal sechs Kilometer. Endlich in Culoz angelangt, fand ich kein Zimmer. Der Typ vom Hotel hatte mich in die Mairie (Gemeindeverwaltung) geschickt, die war aber schon geschlossen. Ein anderer Typ gab mir den Rat, es im Hotel de la Gare zu versuchen. Wie sich herausstellte, war dieses Hotel aber schon seit zwei Jahren geschlossen. Nur noch eine Bar gab es da. Ich ging hinein, da sassen lauter Männer, die mich anstarrten. Ich klagte der Besitzerin mein Leid, was zur Folge hatte, dass sich nun alle Gäste den Kopf darüber zerbrachen was mit mir geschehen soll. Die sehr nette Frau begann in der Gegend herumzutelefonieren. Schliesslich fand man für mich eine Unterkunft. Die Tochter des Hauses brachte mich in ihrem Auto in ein zirka fünf Kilometer weit entferntes Hotel. Ich war sehr froh und dankbar, dass ich so hilfreiche Menschen getroffen hatte. Wenn mir jemand am Morgen gesagt hätte, dass ich eine so grosse Strecke bewältigen kann, ich hätte es nicht geglaubt. Heute habe ich gelernt, dass man Schmerzen aushalten kann, wenn man muss. Die Druckstellen von gestern haben mir nur die erste halbe Stunde wehgetan, dann waren sie plötzlich weg. Dann kam ein Schmerz im linken Oberarm, der wieder verschwand. Hoffentlich geht es morgen mit meinem Muskelkater auch so. Gesprochen hatte ich fast den ganzen Tag nicht. Ich begegnete ja fast niemanden bis am späteren Nachmittag. Die zwei Pilger von gestern habe ich wieder gesehen und mit einem Bauern habe ich ein paar Worte gewechselt. Er sagte zu mir „On se promène“? Dies fand ich witzig, nach fünf Stunden anstrengendem wandern.