16. Tag, 18. April 2006
LE PUY-EN-VELAY - SAINT-PRIVAT-D`ALLIER
25 km
Nach einer fast schlaflosen Nacht, weil die Frau aus der Normandie so laut geschnarcht hatte, besuchten wir wie abgemacht am Morgen früh die Pilgermesse in der berühmten Kathedrale von Puy. Von hier war nämlich im Jahr 950 nach Christus der erste französische Pilger, Bischof Godescalc von Le Puy-en-Velay, nach Santiago de Compostela gepilgert. Wir waren bei weitem nicht die einzigen Frühaufsteher. Ungefähr vierzig Leute, überwiegend Männer, hatten sich eingefunden, um den Pilgersegen zu empfangen. Die Messe fand ich sehr eindrücklich, obwohl ich kein Wort verstanden hatte. Zwei Priester lasen die Messe. Eine Nonne sang mit klarer Sopranstimme und die Frau der Familie aus Annecy durfte ein Pilgergebet lesen. Nach dem gemeinsamen Singen des Pilgerliedes (ich muss das unbedingt lernen) erhielten wir den Segen und einen kleinen Anhänger als Schutz und Glücksbringer.
Noch den ganzen Vormittag standen mir die Tränen zuvorderst, weil ich das ganze so ergreifend fand. Es lohnte sich auf jeden Fall so früh aufzustehen. Den Weg aus der Stadt fand ich sehr schnell, da ich mich gestern schon ein bisschen orientiert hatte. Ich nahm mir vor, so ungefähr 25 km zu gehen, und hoffte, so die vielen Neulinge gleich am ersten Tag abzuhängen. Das hat auch geklappt. Nur einen einzigen Mann traf ich noch ein paar Mal an. Er heisse Noel und komme aus dem Land von Chirac, wie er mir sagte. Also aus Limousin.
Jetzt fing ein neuer Abschnitt an. Der Himmel war am Vormittag etwas bedeckt und ich wanderte auf der Via Podiensis – so nennt man den Weg von Le Puy bis Saint-Jean-Pied-de-Port. Die vielen Fussspuren zeugten davon, dass diese Route viel begangen wird. Den einzigen Vorteil sah ich darin, dass man sich dadurch fast nicht mehr verlaufen konnte.
Jetzt war ich mitten in einem erloschenen Vulkangebiet. Der Weg führte über eine Hochebene auf 1300 Meter, dann wieder hinunter auf 800 Meter über Meer. Ich kam als erste in Saint-Privat-d’Allier an. Die Gîte d`étape öffnete erst um fünf Uhr. Da es erst drei war, setzte ich mich auf die Terrasse eines kleinen Beizlis ganz in der Nähe. Hier konnte ich beobachten wie immer mehr Leute daherkamen. Wollen die alle hier bleiben?
Roger und André kamen auch vorbei, sie rümpften die Nase über dieser Horde schnatternder Franzosen, die jetzt unterwegs waren. Roger hat mir vor lauter Freude mich wieder zu sehen, zum ersten Mal einen Bisou gegeben. Leider waren sie nicht geblieben, sondern wanderten noch ein paar Kilometer weiter. Das war ein guter Entscheid.
Ich dagegen musste ein kleines enges Zimmer mit drei anderen Frauen teilen. Ich vermisse die Beiden. So alleine unter lauter Franzosen, das ist nicht einfach. Die Franzosen sind halt schon sehr speziell, da muss ich Guido recht geben, der immer über die Franzosen lästert.